On Stranger Tides: vom Krakatau zum Batu Tara

On Stranger Tides: vom Krakatau zum Batu Tara

August 30, 2011 Aus Von Marc Szeglat

Wieder einmal zog es die Geonauten nach Indonesien. Zwischen dem 6. und 22. August bereisten Martin, Thorsten, Richard und ich 5 Vulkane auf Java und Flores. Ausschlaggebende Motivationen für diese Reise waren für mich das Kasada-Fest am Vulkan Bromo und die Erkundung des Batu Tara vor Flores. Berichte über diesen abgelegenen Vulkan sind spärlich, genauso wie im Internet kaum brauchbare Fotos zu recherchieren waren, was sich nun ändern wird, da sich jedes Expeditionsmitglied fotografisch ausgiebigst betätigte. Martin Rietze machte mich vor ca. 3 Jahren auf diesen Vulkan aufmerksam und ist seitdem eines seiner „must do“ Ziele gewesen. Dieses „must do“ wollten wir nun erfüllen. Thermische Signale des MODIS-Satelliten lockten uns zudem zum Krakatau und Semeru. Dem Kawah Ijen mit seinen Schwefelfeldern statteten wir ebenfalls einen Besuch ab.

Am Morgen des 8. August trafen wir uns alle in einem Hotel in Jakarta, wo auch unser indonesischer Freund und Guide Andi auf uns wartete, der mittlerweile in die Fußstapfen des verstorbenen Alain getreten ist. Andi hat sich auf die Vulkane Indonesiens spezialisiert, besitzt Organisationstalent und gute Kontakte, sodass sein Mitwirken die Reiseorganisation stark erleichterte. Nachdem uns Henny noch das Schlauchboot vorbeibrachte, das Alain mal für uns gekauft hatte, brachen wir nach Charita auf und charterten ein Boot für die inzwischen vertraute Fahrt zum Vulkan in der Sundastraße. Ronan, der die Boote vermittelt, räumte uns noch einen Rabat für Stammkunden ein. Eine 3-tägige Bootscharter kostet normalerweise ca. 1000 USD. Mittlerweile bin ich fast im Halbjahrestakt an diesem faszinierenden Vulkan unterwegs und habe dort schon so manches Abenteuer erlebt. Genau betrachtet zieht es mich nun genauso oft zum Krakatau, wie früher zum Stromboli. Letzteren Vulkan finde ich nach wie vor faszinierend, allerdings macht das Reisen dort keinen Spaß mehr. Seitdem der Aufstieg zum Krater nur noch in geführten Gruppen erlaubt ist, die maximal eine Stunde oben bleiben, ist das nichts mehr für einen Geonauten ;-). Sich hoch zu schleichen ist zwar spaßig, aber oft mit unangenehmen Konfrontationen mit Bergführern und Polizei verbunden. Bleibt zu hoffen, dass die fortschreitende Entmündigung des Bürgers und die totale Absicherung des Lebens nicht auch noch auf Indonesien übergreifen.
Bereits am Hafen desillusionierte uns unser Koch Epoi. Er war vor einigen Tagen auf Krakatau und fand den Vulkan inaktiv vor. Die letzte Ascheeruption gab es vor einer Woche. Das drückte die Stimmung, trotzdem beschlossen wir raus zu fahren. Tatsächlich wurden wir diesmal nicht von einer Aschefahne über Anak Krakatau begrüßt. So richteten wir unser Lager auf Verlaten Island ein, dass ca. 2,5 km von Anak entfernt liegt. Unser Schlauchboot, das wir eigentlich zum Anlanden an den Lavaklippen von Anak dabei haben wollten, diente uns als bequemes Sofa zum Ansitzen. Wer weiß… eine Reaktivierung der Aktivität war jederzeit möglich. Mit Fortschreiten der Dämmerung erahnten wir eine leichte Rotglut im Dampf über dem Krater. Was war da los? Strombolianische Eruptionen, oder nur ein glühender Förderschlot? Für Ersteres fluktuierte die Intensität der Glut nicht genug, für Letzteres war sie zu hell. Wir beschlossen am nächsten Abend einen Blick in den Krater zu werfen, uns wohl bewusst, dass es jederzeit zu einer Explosion kommen könnte, die uns vom Kraterrand fegen würde. Dennoch hielten wir das Risiko für vertretbar. Am nächsten Tag verlegten wir das Lager auf Anak Krakatau und machten uns am Spätnachmittag auf den Weg zum Kraterrand. Die Eruptionen der letzten 2 Jahre zerstörten den Pfad zum Gipfel und obwohl der Aufstieg keine 400 m hoch ist, gestaltete er sich anstrengend. Die schwüle Hitze und die steilen Flanken des Kegels garantierte Schweißströme. Überall lagen vulkanische Bomben in ihren Einschlagtrichtern und ein etwas mulmiges Gefühl machte sich in meiner Bauchgegend breit. Im letzten November sind einige dieser Bomben praktisch vor meinen Füßen eingeschlagen, aber da wusste man was einen erwartet. Nun pausierte der Vulkan, aber das Glühen im Krater deutete darauf hin, dass diese Pause jederzeit mit einem großen Knall beendet werden könnte. Initiale Explosionen sind meistens besonders stark die Überlebenschance eines solchen Ereignisses minimiert sich mit der Näherung an den Krater dramatisch. Hinzu kamen die Schwierigkeiten des Aufstieges. Die Tephra am Berghang war nur lose geschichtet. Praktisch bei jedem Schritt löste sich eine kleine Lawine faustgroßer Lavabrocken mit der wir Hangabwärts rutschten. Teilweise geriet sogar der Hang bis zu 5 Meter oberhalb in Bewegung woraus sich 2 Steigtechniken ergaben: sich wie eine Dampfwalze unaufhaltsam durch das fließende Material zu arbeiten und dabei schneller zu sein, als die sich bewegende Schutthalde, oder leicht wie eine Feder drüber zu schweben und bei jedem Schritt abwarten, bis sich der Hang wieder beruhigte. Thorsten, Andi und ich kämpften uns zunächst mit brachialer Gewalt durch den Vulkanschutt und ich sah uns schon fast in einer großen Lawine enden. Nur Martin schaffte es irgendwie einigermaßen zügig voran zu kommen und motivierte mich damit nicht aufzugeben. Er hatte sich frühzeitig von der Gruppe abgesetzt und entging somit dem unaufhörlichen Steinstrudel. In einem Sprint, der mir vorkam, als würde ich eine Rolltreppe in entgegengesetzter Richtung hinauflaufen, setzte ich mich auch ab und schaffte es dann ruhigeren Schrittes zum Kraterrand. Der Blick in das glühende Höllenloch bestätigte meine Befürchtungen: hier war kein guter Ort um lange auszuharren. Anstatt eines offenen Förderschlotes präsentierte sich ein völlig verstopfter Kanal im nordwestlichen Teil des Doppelkraters, der von einer glühenden Lavaplatte gedeckelt wurde. Auf dem ersten Blick sah es nach einem kleinen Lavasee aus, doch die Lava stand massiv und bewegungslos. Durch Spalten zischte superheißes Gas, das mit orangeblauer Flamme brannte. Eine hochexplosive Situation, denn jederzeit konnte es zu einem Schloträumer kommen. Mit einsetzender Dunkelheit gestaltete sich die Szenerie äußerst fotogen und endschädigte uns für die fehlenden Eruptionen; wann bekommt man schon einmal die Gelegenheit einen glühenden Schlotpfropf zu sehen? Natürlich hielten wir uns hier länger auf, als beabsichtigt und machten unzählige Fotos.

Am nächsten Tag verließen wir den Archipel wieder und flogen von Jakarta nach Surabaya. Von dort ging es zunächst zum Semeru, der sich komplett tot präsentierte. Auch hier hatten die Ascheeruptionen vor einigen Tagen aufgehört… verdammt und zugenäht! Wir verzichteten auf eine Besteigung und beschlossen zum Kawah Ijen zu fahren. Seit langem wollte ich den nächtlichen Schwefelbrand dokumentieren, auf den uns Alain vor ca. 3 Jahre in einem Geheimtipp aufmerksam machte. Martin realisierte diese Aufnahmen bereits 1 Jahr später, lange bevor ein bekannter Geofotograf Martins äussert künstlerischen Aufnahmen nachahmte.
Inzwischen hatte mich eine Erkältung fest im Griff (den Klimaanlagen sei Dank) und so richtige Freude wollte im Angesicht der Schwefeldämpfe bei mir nicht aufkommen. Die Anderen entschlossen sich dazu am Kraterrand zu campen, worauf ich auf Grund der niedrigen Nachttemperaturen verzichtete. So machte ich mich mit leichtem Gepäck auf den Weg, während die restlichen Geonauten fast so viel schleppten, wie die Schwefelarbeiter. Von ihnen machten sich auch noch einige an den abendlichen Aufstieg, um Tragekörbe am Krater zu deponieren. Schon während des Aufstieges kamen uns ätzende Schwefeldämpfe entgegen und inzwischen ein wenig sensibilisiert legte ich die letzten Meter des Aufstiegs mit Gasmaske zurück. Das Vollmondlicht tauchte den Krater in einen sanften Schimmer und zwischen den Fumarolen am Rand des Säuresees sahen wir die Flammen des Schwefelbrandes bläulich lodern. Ich machte mich an den Abstieg und der Wind stand so ungünstig, dass ich immer wieder meine Gasmaske benutzen musste, was bei einer Erkältung weniger angenehm ist. Im Krater hielten sich noch 2 Arbeiter auf, deren Aufgabe es war, den Schwefelbrand im Zaun zu halten und beginnende Feuerflüsse gleich im Keim erstickten und löschten, worüber wir nicht sehr glücklich waren. Die Flammen loderten an den Gasaustritten saphirblau, allerdings war es fast unmöglich direkt bis zu den Fumarolen durchzudringen. Die Gaskonzentration war dort so hoch, dass selbst die Masken nicht mehr schützten. Richard versuchte es trotzdem und bezahlte seinen Wagemut mit einer Überdosis Schwefeldioxid und Chlorgase, die ihn für die nächsten 2 Tage ausknockte. Die Flammen zu Fotografieren erwies sich als kompliziert, denn sie waren immer nur für wenige Sekunden sichtbar, bevor sie wieder vom dichten Gasnebel eingehüllte wurde. Nach 2 Stunden hatte ich genug und kletterte wieder aus dem Schwefelloch und machte mich an den Abstieg, um am Parkplatz an der Verladestation zu übernachten.
Am nächsten Morgen ging es wieder hinauf und hinab in das Loch. Zum Sonnenaufgang fielen Hunderte Touristen über den Krater mit seinen Schwefelträgern her, die nun ihrem harten Job nachgingen. Nur mit Brechstangen bewaffnet brachen sie den Schwefel aus dem Fumarolenfeld, luden ihn in die beiden Körbe, die durch eine Tragestange miteinander verbunden sind. Unter Keuchen und Husten machten sie sich auf den Weg den schmalen Pfad hinauf, aus dem ca. 250 m tiefen Krater. Bis zu 70 kg schleppen sie so, Tag ein, Tag aus. Ihre Lungen sind genauso löchrig wie ihre Kleider, zerfressen von den Schwefeldämpfen. Viele husten Blut. Heute wehte der Wind die Gase auch noch direkt in Richtung Aufstiegsroute und die Männer quälten sich Schritt für Schritt hinauf. Ich traf meine Leute wieder, die auch nicht mehr so fit aussahen; letzte Nacht haben sie hier bis 3 Uhr ausgeharrt, in der Hoffnung einen brennenden Schwefelfluss zu erwischen, doch die Arbeiter löschten sie sofort, da half auch kein großzügiges Trinkgeld weiter. Der Schwefelabbau wurde in den letzten Jahren bis zum Limit maximiert, die Zahl der Schwefelschürfer stieg deutlich und da ist jedes Gramm Schwefel kostbar.
Nachmittags saßen wir schon wieder im Wagen und rüttelten in Richtung Tengger-Caldera und Mount Bromo. Martin, Richard und ich waren hier erst im März und dokumentierten den Ausbruch des Vulkans. An diesem sollte am nächsten Tag das Kasada-Fest gefeiert werden. Das Datum dieser Zeremonie variiert, denn es richtet sich nach dem hinduistischen Kalender und wird jedes Jahr 2 Tage nach dem Vollmond des 12. Monats gefeiert. Andi recherchierte das diesjährige Datum auf den 15. August. Interessanter Weise war selbst im Internet kaum was darüber zu erfahren, was auch an den unterschiedlichen Schreibweisen liegen mag, die so im Umlauf sind; von Kasada über Kasado und Kasodo zu Kesada scheint alles möglich. Die Wirrungen der Schreibweise des Festes könnten dadurch zustande kommen, dass die hinduistische Volksgruppe der Tenggernesen einen Dialekt sprechen den selbst Andi nur zum Teil versteht. Sinn der Zeremonie ist es, die Zustimmung der Götter für eine reiche Ernte zu erbitten. Und die Götter wohnen im Krater des Vulkans.
Die eigentliche Zeremonie begann um Mitternacht. Eine Prozession unter Leitung eines Zeremonienmeisters fuhr und trug einen Schrein mit Opfergaben durch den Ort Cemoro Lawang. Gegen halb 2 erreichte die Prozession den Weg der in die Tengger Caldera hinab führt. Wir warteten dort an einem kleinen Platz, auf dem Jahrmarktstimmung herrschte. Inzwischen doch recht müde, durchgefroren und lustlos raffte ich mich hinter meiner Kamera auf, als einige Jeeps vorfuhren. Hinaus sprang eine kleine Schaar weißgekleideter Priester mit ornamentbestickten Sherpen und Sarongs. Eiligst wurden Gestecke aus Bananenblätter aufgebaut, Decken ausgebreitet und kleine Feuerschalen mit Weihrauch aufgestellt. Ein paar Worte wurden gesprochen, dann setzte man sich zum meditativen Gebet. Irgendwie hatte ich mir das ein wenig pompöser vorgestellt. Nach ein paar Minuten sprangen die Priester auf und entzündeten Fackeln. Eine kleine Gruppe setzte sich zu Fuß in Bewegung und machte sich auf den Weg in die Caldera und zum Tempel am Fuße des Bromo. Nebel wallte in dem großen Kessel und als wir die Kameras eingepackt hatten, war die Prozession bereits im grauen Nichts verschwunden. Gemächlich folgten wir in Richtung Tempel und ertasteten uns den Weg durch die Sandmeercaldera. Am Temple herrschte Volksfeststimmung. Tausende Mopeds und Jeeps zerpflügten den Boden, eine Zeltstadt wurde bereits tags zuvor errichtet. Überall glimmten Feuer an denen sich die Menschen wärmten. Im Tempel selbst waren unter Neonbeleuchtung die Opfergaben aufgereiht und einige Priester saßen auf einem Podest in Reih und Glied. Viele von ihnen barfuß. Auf einer kleinen Bühne wurden Reden geschwungen, von denen ich nur zwei Namen verstand: Roro Anteng und Joko Seger. Das Paar von adligem Geblüt gilt als Gründer des Königreichs von Tengger, hinter dem sich eine tragische Geschichte verbirgt:
Die Prinzessin Roro Anteng und ihr Gemahl Joko Seger konnten keine Kinder bekommen. Daher pilgerten sie zum Vulkan Bromo und baten den Gott Brahma, der im Krater des Vulkans lebt um Hilfe. Diese wurde ihnen unter der Bedingung gewährt das letztgeborene Kind zu Opfern. Die Prinzessin gebar 25 Kinder, hielt sich aber nicht an die Vereinbarung. Brahma forderte seinen Tribut und ließ den Vulkan in einer fürchterlichen Eruption ausbrechen. Er drohte das Königreich zu zerstören, wenn das letztgeborene Kind –Prinz Kesuma- nicht geopfert werden würde. Widerstreben kam die Prinzessin den Forderungen des Gottes nach und stieß ihren Sohn in den Krater des Vulkans, welcher sich beruhigte. Dem legendären Prinzen zu Gedenken ist ein Teil der Zeremonie.
Gegen 4.30 Uhr waren die Dankesreden zu Ende und die Priester sprangen auf, schnappten sich ihre Opfergaben und stürmten durch den Nebel zum Kraterrand des Bromo. Wir hasteten hinterher und folgten der Spitze der Prozession. Mehrmals verliefen wir uns im dichten Nebel, doch schließlich fand die Gruppe die Treppe, die zum Kraterrand hinaufführt. Fauchend entströmten Schwefelgase aus dem Schlot, der noch vor wenigen Wochen aktiv war und es barg schon eine gewisse Komik eine hustende Schaar von Vulkanpriestern zu begleiten, die ihrem Gott wohlstimmen wollten und sich dabei dauernd verliefen. Noch bizarrer wurde es am Kraterrand! Dieser bevölkerte sich zusehends mit einigen Hundert Personen und gut 2 Dutzend Menschen kletterten im steil abfallenden Inneren des Kraters herum, bewaffnet mit großen Taschen, Tüchern und… Keschern! Wollten die etwa Schmetterlinge fangen? Weit gefehlt! Die Priester erklommen den Kraterrand und trugen die mannshohen Gestecke aus Bananenblätter vor sich her. Ohne groß inne zu halten pfefferten sie diese über den Kraterrand. Ein Kreischen wurde laut, gepaart mit Schnattern und entsetztem Pfiepen: Zwischen den Blättern hatten sich kleine Käfige mit lebenden Hühnern verborgen, die voller entsetzten loszwitscherten, als sie 15 Meter weiter unten unsanft auf dem Boden aufschlugen. Die Käfige platzen auf, die Hühner stoben in alle Richtungen auseinander und die Leute mit den Keschern wetzten hinter ihnen her und versuchten die Opfergaben einzufangen. Dass sie dabei drohten in den gewaltigen dampfenden Förderschlot zu stürzen störte sie offenbar genauso wenig, wie es die Vulkanpriester störte, das die für Brahma und Kesuma bestimmten Opfergaben von hungrigen Menschen anderer Religionen abgegriffen wurden. Götterspeisung einmal anders. Der offizielle Teil des Festes war bereits zu Beginn der Morgendämmerung vorbei, das Fotografieren folglich schwierig. Aber jetzt folgte der private Teil des Festes und den ganzen Morgen über pilgerten gläubige Hindus aus dem Umland die lange Treppe zum Krater empor und fütterten Götter und Bettler mit tonnenweise Gemüse, Hühnern und anderen Produkten ihrer Arbeit. Es wurden sogar Münzen und Geldscheine geopfert und eine lebende Ziege, die den Sturz zitternd und meckernd überlebte, fragte sich nur für wie lange.
Vormittags trafen wir uns an der „Volcano View Lodge“ zum Frühstück und machten uns anschließend auf den Weg zum Flughafen von Surabaya. Hier trennten sich unsere Wege und Richard flog nach Hause. Wir anderen Drei machten uns auf den Weg zur Insel Flores. Dort trafen wir nach Zwischenlandungen auf Bali und Komodo auf Chris Weber, der mit Anita bereits seit einigen Tagen dort unterwegs war. Nun wurde es ernst. In der Hafenstadt Larantuka mussten wir uns ein Boot besorgen um zum Batu Tara zu fahren. Mit Hilfe eines englischsprachigen Einheimischen machten wir uns auf den Weg in den Hafen und fanden überraschend schnell ein Fischerboot. Es war bereits dunkel, doch der erste Eindruck des Gefährts ließ uns Zweifel aufkommen, ob es der ggf. rauen See fernab der Küste standhalten würde. Nichts desto trotz einigten wir uns mit dem Bootsbesitzer auf einen verträglichen Preis. Nur als wir sagten, dass wir Kombo Island mit dem Vulkan betreten wollten machte sich Entsetzen in seinen Augen breit. Die Insel sei Tabu meinte er, dort würden die Geister der Ahnen leben und niemand dürfe sie betreten. Wiederwillig ließ er sich von uns besänftigen und er willigte ein uns zu fahren. In einem kleinen Laden kauften wir schnell ein paar Lebensmittel für die nächsten 3 Tage auf See ein und kehrten zu unserem Hotel zurück, das sehr simpel ausgestattet war. Dort erwarteten uns 2 Kinder, die uns mitteilten, dass ihr Papa (der Fischer) uns doch nicht fahren wolle. Frustration machte sich breit und wir mussten erst einmal zusehen, unsere Anzahlung zurück zu bekommen. Mittlerweile war es bereits nach 21 Uhr und bei unserem engen Zeitplan sahen wir unsere kleine Expedition in Gefahr. Als Alternative gab es nur noch die Tagesreise zum Walfängerort Lembata, wo wir einen weiteren Versuch starten könnten ein Boot auf zu treiben, aber dann bliebe uns nur noch die Möglichkeit der Insel einen Kurzbesuch abzustatten. Doch Chris gab nicht auf und machte sich nochmal auf den Weg zum Hafen. Diesmal gelang es ihm einen größeren Thunfischfänger aufzutreiben, der unter chinesischer Flagge fuhr und gut 8 Mann Besatzung hatte. Der zuerst angesetzte Preis war illusorisch hoch und lag bei 1000 USD pro Tag. Zum Schluss einigten wir aus auf 1200 USD für die 3-tägige Charter.
Am nächsten Morgen stachen wir in See. Viel Luxus gab es an Bord nicht, das Boot war für die Einquartierung lebender Thunfische konzipiert, nicht für die Bequemlichkeit von Touristen. Es gab einen kleinen Vorraum wo wir unser Gepäck neben einem knatternden Dieselaggregat deponieren konnten und den Boden im Steuerunterstand, auf dem eine Decke ausgebreitet wurde. Ich zog es vor meine Notdurft über die Reling zu erledigen und betrat die winzige Toilette nicht. Wohlweislich hatte Anita darauf verzichtet mit uns loszufahren und blieb an Land.
Schon vom Weiten sahen wir immer wieder Aschewolken am Horizont aufsteigen und die Spannung wuchs. Unsere Internetrecherchen hatten nur zu sehr wenigen brauchbaren Bildern des Vulkans geführt und diese wurden entweder aus der Luft, oder von See aus gemacht. Unser Ziel war es irgendwie an der schroffen Küste anzulanden und nachts landgestützte Bilder der strombolianischen Eruptionen zu schießen, was unseres Wissens noch Niemand zuvor geschafft hatte.
Nach gut 8-stündiger Fahrt bei schönstem Wetter erreichten wir unser Ziel. Steil und schroff präsentierte sich Kombo Island, das eigentlich nur aus der 748 m hoch aufragenden Spitze des Vulkans Batu Tara besteht. „Wie eine verwunschene Schatzinsel“, kam es mir in den Sinn und irgendwie dachte ich an: Piraten!
Die Schiffsbesatzung steuerte schnurstracks auf eine geschützte Bucht zu, die auf der dem Krater abgewandten Inselseite lag, um dort für die Nacht vor Anker zu gehen. Wir protestierten und erkämpften eine Inselumrundung zum Sonnenuntergang. Die Fahrt verdeutlichte uns schnell, warum hier keine Menschen Leben und warum es keine vernünftigen Bilder der Eruptionen gab. Zwar sahen wir an einigen Stellen dünne Sandstrandstreifen, doch bei Flut würden sie unter Wasser stehen. Die unteren Hänge erwiesen sich als viel zu Steil um sie ohne Seil und großem Aufwand zu erklimmen. Weiter oben war die Vegetation so dicht, das man nur mit Machete und Kettensäge weiter gekommen wäre. Wir waren entmutigt. Doch die Laune stieg, als wir die Seite der Insel erreichten, deren Flanke vor nicht allzu langer Zeit abgeschert und ins Meer gestürzt war. Dort liegt nun der Krater zur See hin offen und gewährt einen Blick auf die strombolianischen Eruptionen. Alle paar Minuten gab es eine Explosion und Tephra stieg mehrere Hundert Meter hoch auf. Glühende Brocken flogen bis über den Kraterrand, der ca. 250 m hoch ist. Einige kullerten über einen steilen Schotterhang bis ins Meer, wo sie zischend und dampfend abkühlten. Schnell machten wir etwas seitlich dieser Feuerrutsche einen kleinen Küstenabschnitt aus, der so aussah, als könne man dort anlanden. Doch für diese Aktion war es nun zu spät und wir gewährten der Mannschaft ihren geschützten Ankerplatz anzusteuern. Einige der Männer schwankten zwischen Faszination und Panik im Angesicht der donnernden Vulkanausbrüche, die teilweise so laut waren, dass selbst ich manchmal erschrocken zusammenzuckte.
Die Nacht an Bord war alles andere als bequem. Alles schwankte und drehte sich und ich hatte ständig Sorge in einer der Fischluken zu verschwinden, die zum größten Teil offen dalagen. Den wenigen Platz draußen mussten wir uns mit den Fischern teilen, die das machten, was Fischer am liebsten zu machen scheinen: fischen! Die fremden Gewässer bargen einen ungeahnten Fischreichtum und die Männer fingen einen „Red Snapper“ nach dem anderen und frittierten einige sofort im Wok; für das leibliche Wohl war gesorgt. Wenig später rollte ich mich auf Deck in meine Decke ein, starrte ins Firmament, an dem mehr als 1000 Sterne glühten und bewunderte die Milchstraße, die man bei uns daheim ja praktisch niemals zu Gesicht bekommt, der Lichtverschmutzung sei Dank! Ca. alle 20 Minuten wurde die Stille der Nacht fernab der Zivilisation von einer Explosion unterbrochen. Gelegentlich sah ich rotglühende Lavabrocken über den Krater aufsteigen, der sich auf der anderen Inselseite befand. Einige Eruptionen waren größer als der Durchschnitt aber scheinbar nicht so groß, als das sie unseren morgigen Landgang gefährden würden.
Am nächsten Morgen war es dann soweit: wir verpackten unsere Ausrüstung in Wasserdichte Ortlibsäcke und fuhren zur Feuerrutsche. Morgens war der Seegang am niedrigsten; zum Ausborden stand uns nur ein wackliges Einbaumkanu zur Verfügung. Vollkommen illusorisch zu denken damit trocken an Land zu gelangen und so ließen wir unsere Ausrüstung von einem der Fischer an Land bringen, während wir selbst schwammen. Wir ließen immer nur einen Sack an Land rudern, denn die Gefahr die gesamte Ausrüstung bei einem eventuellen Kentern des Kanus zu verlieren, war uns zu groß. Es war schon ein einmalig spannendes Erlebnis vor einer Feuerrutsche schwimmen zu gehen, den Krater immer im Blick, ob er nicht mit Steinen nach uns werfen würde. Die ganze Landungsaktion nahm schon gut eine Stunde in Anspruch, denn der Küstenabschnitt war felsig und wir schafften das Gepäck gleich auf eine höher gelegene Stelle, die bei Flut trocken blieb. So kauerten die Geonauten einen Tag auf einer Felsnase am Strand, suchten Schatten und starrten Richtung Krater. Die Sicht auf diesen war suboptimal, denn eine Flanke des abgerutschten Hangs verdeckte einen Teil des Förderschlots. Trotzdem war es der einzig mögliche Standpunkt. Direkt vor die Feuerrutsche konnten wir uns nicht postieren, denn hier ging deutlich mehr Material ab, als an der Sciara del Fuoco des Strombolis. Kurz unterhalb des Förderschlots quetschte sich ein zähflüssiger Lavastrom aus dem halben Kegel, der sich in der abgescherten Flanke bildete. Von ihm lösten sich schubweise Lavabrocken, die unter lautem Rumpeln die Feuerrutsche hinabsprangen. So ein Tag in der Sonne kann verdammt lang werden und ich überlegte, was wohl wäre, wenn uns unsere Bootscrew im Stich lassen würde? Sie hatten, nachdem sie uns abgesetzt hatten, schnell das Weite gesucht und waren wieder in der geschützten Bucht vor Anker gegangen, außerhalb unserer Sichtweite. Verdursten wäre nicht so toll.
Ich war froh, als endlich die Dämmerung hereinbrach. Endlich wurden die rotglühenden Brocken in der Eruptionswolke sichtbar und das Fotografieren begann sich zu lohnen. Die nächsten Stunden vergingen schnell. Die Stärke der Eruptionen variierte stark. Manche verkümmerten regelrecht kurz oberhalb des Förderschlotes, andere Ausbrüche schleuderten die Lavabomben in einer weit aufgefächerten Blume über den Kraterrand hinaus; ein fantastisches Naturspektakel, das der ¾ Mond erhellte.
Plötzlich entdeckte ich das Meeresleuchten: wenige Meter vor der Küste zogen geheimnisvoll schimmernde Leuchtflecken durch das Meer. Es waren mehrere Flecken von einigen Quadratmetern Größe die durchs Wasser schwebten, sich zu einem größeren Flecken vereinigten und wieder teilten. Dass mussten Meerjungfrauen sein! Chris, der da weniger romantisch ist, tippte eher auf fluoreszierende Quallen, oder Garnelenschwärme. Vielleicht waren es auch nur tausende silberne Fische, deren Schuppen das Mondlicht reflektierten. Irgendwann rollte ich mich auf meiner Matte zusammen und döste ein wenig ein, träumte von Meerjungfrauen, Piraten und Goldschätzen, doch die Explosionen rissen mich immer wieder aus dem Schlaf und ich hockte mich wieder hinter meiner Kamera. Als der Morgen graute wurde es windig und ein wenig besorgt schielte ich Richtung höher werdender Wellen. Ob wir unsere Ausrüstung wieder trockenen an Bord unseres Kreuzfahrtschiffes bekommen würden? Pünktlich um 7 Uhr tauchte er auf, der Thunfischfänger. Die Mannschaft versammelte sich neugierig am flachen Bug und winkte uns freudig zu. Vom Weiten riefen die Männer bereits, ob alles ok sei. Scheinbar waren sie echt besorgt, ob des Vulkans und den geisterhaften Tabus der unerforschten Insel.
Schwimmend und rudernd begaben wir uns wieder an Bord und warfen letzte Blicke auf Batu Tara und wir verließen die fremden Gewässer. In den drei Tagen die wir unterwegs waren, sahen wir kein einziges anderes Boot soweit draußen. Keine Menschenseele näherte sich dem Vulkan. Obwohl sich Stromboli und Batu Tara sehr ähnlich sind, scheinen tatsächlich Welten zwischen Italien und Indonesien zu liegen.

Die Rückfahrt erfolgte problemlos und 2 Tage später machten wir uns auf den Heimflug. Die zweimotorige Propellermaschine flog tief über die Inselwelt Indonesiens und wir passierten die gewaltigen Calderen von Tambora und Rinjani. 2 Ziele, die wir auf einer der nächsten Reisen unbedingt ansteuern wollen.